Mit dem Für-Sprecher*innenkollektiv des Netzwerk X haben wir ein paar Fragen an die Kuratorin von Urbane Künste Ruhr (UKR), Britta Peters, gestellt und aufschlussreiche Antworten erhalten zu Kunst, Geld und Politik.

X: Worüber denken Sie zurzeit nach?

Britta Peters: Ich denke über das nach, was ich gerade mache. Selbstkritisch, ob die getroffenen konzeptionellen Entscheidungen die richtigen sind, aber auch konstruktiv: Was wäre noch interessant hinzuzufügen? Oder umgekehrt, ich sehe oder höre etwas, das mich inspiriert und überlege dann, wie kann ich oder können wir gemeinsam damit weiterarbeiten, es mitaufnehmen? Abgesehen davon, bin ich – wie viele andere vernünftige Menschen auch – einigermaßen traumatisiert von der gegenwärtigen politischen Situation, von zunehmendem Nationalismus, Hass, Rassismus und einer unglaublichen Verantwortungslosigkeit und Brandstiftermentalität in den höchsten politischen Ämtern.

Welche Aspekte des Ruhrgebiets sind für ihre Arbeit besonders relevant?

Soweit ich das Ruhrgebiet bis jetzt kennengelernt habe, mag ich es sehr. Es gibt tolle Leute und eine extrem interessante, gesellschaftliche Ausgangslage: Die Region ist durch Industriearbeit entstanden und in jeder Hinsicht durch sie geformt. Wie entwickelt sie sich langfristig weiter, jetzt, wo dieser große Zusammenhang nicht nur hier, sondern in vielen Regionen der westlichen Welt wegfällt? Oder besser gesagt: Das ganze ökonomische Gefüge hat sich durch Digitalisierung und Billigproduktion maßgeblich verschoben. Was bedeutet das für das Leben in den ehemaligen Industrieregionen? Lassen sich Flächen zurückerobern, lässt sich hier ein gesellschaftliches Zusammenleben begründen, dass nicht auf eine Identifikation durch Arbeit fixiert ist? Kann die vernetzte Region eine Antwort auf Gentrifizierungsprobleme geben, wie sie in den „Superstar“-Städten entstehen?

Wie wichtig ist ihres Erachtens die Selbstorganisation der freien Kunst- und Kulturszene?

Die freie Szene ist wichtig und auch der Zusammenschluss ist wichtig, um Forderungen durchzusetzen. Im Detail unterscheiden sich die Bedürfnisse und Ziele der einzelnen Künstler* innen und Gruppen dann vermutlich doch auch erheblich. Da muss man ein bisschen gucken, dass nicht neue Normen entstehen, die einschränkend wirken, zum Beispiel die Norm kommunikativ sein zu müssen und kollektiv zu arbeiten. Das zu wollen/zu können ist einfach nicht für jede*n gleichermaßen gegeben, Raum für ein gewisses Eigenbrötlertum gehört für mich genauso zu den potentiellen Bedingungen einer künstlerischen Produktion dazu wie der gemeinsame Austausch.

Die Innenstadträume werden aus kommerziellen Gründen als öffentliche Räume zurückgedrängt. Während in Duisburg ein generelles Alkoholverbot soeben gerichtlich verhindert werden konnte, ist in Essen gar „Vortäuschung künstlerischer Darbietung“ untersagt. Welche Rolle kann Kunst spielen, um dieser Entwicklung zu begegnen?

Das Gesetz zur „Vortäuschung künstlerischer Darbietung“ in Essen kenne ich noch gar nicht, das scheint mir eine konzeptionelle Steilvorlage für ein schönes, künftiges Projekt zu sein! Ansonsten sehe ich die Möglichkeiten von Kunst darin, Räume zu öffnen, wie wir es zum Beispiel gerade in Duisburg-Rheinhausen mit der Installation von Peggy Buth in der profanierten St. Barbara Kirche erlebt haben, und temporäre oder permanente öffentliche Räume zu schaffen. Durch temporäre Projekte entsteht zumindest eine Idee, wie ein Ort genutzt werden könnte, und selbst wenn danach alles zunächst wieder auf Null zu fallen scheint, spukt diese Vision dann durch sehr viel mehr Köpfe. Ein Projekt kann ein schmerzhaftes Vakuum hinterlassen, das im Idealfall aber auch vor Ort genügend Kräfte weckt, etwas Neues anzugehen und einzufordern.

Das Ruhrgebiet ist ein nur gedanklich verknüpftes Konglomerat konkurrierender Städte. Als Gegengewicht wird viel in Image-Kampagnen gesetzt. Wie sehen sie die Rolle von UKR innerhalb dieser Image-Kampagnen?

Ich bin Kuratorin mit einem eindeutigen Background in der langjährigen Beschäftigung mit Kunst/Kunst im öffentlichen Raum. Das heißt, ich denke erst einmal in Projekten und an künstlerische Positionen und entwickele meine Konzeption nicht unter Marketinggesichtspunkten. Punktuell schließen wir uns dann jedoch durchaus mit den Inhalten dieser Image-Kampagnen kurz, zum Beispiel im Hinblick auf den Ausbau- und die Nutzung der Fahrradwege, den ich für sehr sinnvoll halte .

Wenn Sie wählen müssten zwischen dem Wahren, Schönen & Guten und Negation, Kritik & Dekonstruktion, was würden Sie tun?

Diese Frage finde ich falsch gestellt, weil sie polarisiert, wo keine Polarisierung notwendig ist.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, langfristige Effekte durch ihre Arbeit zu erzielen?

Im großen Ganzen geht es mir darum, Zusammenhänge zu schaffen: ästhetische, räumliche, soziale und politische Zusammenhänge, genauso wie einen grundsätzlichen Zusammenhang zwischen „Kunst“ und „Leben“. Wenn es uns gelingt, das Projekt „Materialverwaltung an der Ruhr“ zu etablieren, schaffen wir damit auch einen sehr handfesten und ökologisch sinnvollen Beitrag für die Kulturproduktion vor Ort. Von der Einrichtung dieses gemeinnützigen Fundus würden alle profitieren, angefangen bei den Schulen und der freie Szene bis hin zu den großen Institutionen, die ebenfalls als Geber und Nutzer eingeplant sind und weniger wertvolle Materialien einfach so wegschmeißen müssten.

Im Ruhrgebiet herrscht eine gewisse Gereiztheit in Bezug auf den Import von Projekten aus Berlin, Hamburg oder zuletzt auch Köln mit der Begründung, dass statt lokale Entwicklungen zu stärken „UFOs“ eingeflogen werden – wie begegnen Sie dieser Kritik, die in der Vergangenheit auch UKR entgegengebracht wurde?

Ich fühle mich aufgrund meiner eigenen Arbeitsweise davon erst einmal etwas weniger angesprochen.

In Zeiten immer offener und selbstbewusster hervortretender rechter Politik wird die unmittelbare Auseinandersetzung immer unausweichbarer – welche Rolle kann Kunst in diesem Zusammenhang übernehmen und inwieweit ist diese konkret antifaschistisch denkbar?

Komplex bleiben erscheint mir sehr wichtig: Klar Position beziehen, aber keine Selbstzensur der künstlerischen Inhalte.

Wie können Künstler*innen aus dem Ruhrgebiet an Sie herantreten, um gemeinsame Projekte mit UKR zu entwickeln?

Ich gucke mir vieles an, bin eigentlich recht offen und kenne auch bereits ein paar tolle Projekte und Projekträume. Ansonsten ist das Ganze ein von meinen künstlerisch/kuratorischen Interessen geleiteter Prozess. Dadurch entsteht das Profil und darin mache ich mich natürlich auch angreifbar. Das klingt für euch jetzt vielleicht nicht besonders attraktiv, aber ist für mich gerade im Hinblick auf das Herstellen von Zusammenhängen gar nicht anders denkbar. Ich verstehe die Arbeit von Urbane Künste Ruhr nicht als die einer kulturpolitischen Institution, die alle Wünsche gerecht und demokratisch erfüllen kann. Für eine solche, eher Behörden-artige Konstruktion wäre ich mit meinem Selbstverständnis dann auch die falsche Besetzung. Es geht mir nicht darum, alles gleich zu machen und gleich zu behandeln, sondern es gibt bestimmte künstlerische Vorlieben, Projekte und Haltungen, die mir wichtiger sind als andere. Die Energie, die ich brauche, um etwas umzusetzen, habe ich nur für etwas, das mich auch selbst interessiert.

Obwohl das Budget von Urbane Künste Ruhr im Vergleich zu den Pleite-Haushalten der Ruhrgebietsstädte, in denen es zum Teil nicht einmal mehr freie Projektförderung gibt, relativ hoch ist, gab es in der Vergangenheit Fälle, in denen relativ gut bezahlte UKR- Akteure Räume und Kompetenzen von Ruhrgebiets-Akteuren umsonst nutzten oder nutzen wollten – wie wollen Sie diesem Problem begegnen?

Wenn so ein Eindruck entsteht, klingt das erst einmal nicht gut. Ganz allgemein und im Hinblick auf die Vergangenheit kann ich dazu kaum etwas sagen, das kommt sehr auf die konkrete Situation an. Wie gesagt, ich werde es kaum allen recht machen können und das ist auch nicht meine Vorstellung, von dem was ich machen möchte. Aber ich bin sensibilisiert für mögliche Konflikte und hoffe, dass sie ggf. fair und respektvoll verhandelt werden – aus allen Perspektiven und von Seiten aller Beteiligten.

Welchen Teil ihrer Arbeit würden Sie auch ohne Bezahlung ausüben?

Ich habe in meinem Leben etliche Projekte ohne oder mit sehr wenig Geld umgesetzt. Jetzt freue ich mich, dass ich bezahlt werde und ein gutes Projektbudget zur Verfügung habe.

Wir danken und verbleiben mit einem Hinweis auf das Programm von Urbane Künste Ruhr

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