Lieber Regionalverband Ruhr!
(*als PDF lesen: RVR-Brief)
Mit großer Aufmerksamkeit verfolgt das Netzwerk X seit seiner Gründung 2011 die kulturpolitischen Weichenstellungen des RVR. Im Zuge unserer „X:PIKS“-Intervention 2013 haben wir darauf aufmerksam gemacht, dass im Rahmen der Nachhaltigkeitsarchitektur des RVR keine Säule für an der Schnittstelle von Kunst und sozialem Raum arbeitende, lokal verankerte und regional arbeitende und vernetzte Initiativen vorhanden ist.
Nun diskutiert der RVR die Einrichtung einer eigenen Kulturförderung für die freie Szene im Ruhrgebiet, was wir sehr begrüßen. Auch die geplanten Förderkriterien markieren einige Schwerpunkte und Ziele, für die wir uns seit der Gründung des Netzwerk X – praktizierend und fordernd – einsetzen visit here ilmaistapornoa.net
Der uns vorliegende Entwurf des RVR sieht u.a. vor:
• Förderung von Projekten, welche „die regional vorhandenen Potentiale sowie die Kulturinstitutionen und -akteure der Kulturmetropole Ruhr vernetzen und stärken“
• Förderung von Projekten, „die aufgrund ihrer Spartenzugehörigkeit bzw. ihres inhaltlichen Zuschnitts weder mit dem bestehenden Programmschwerpunkt ‚Künste im urbanen Raum’ noch mit dem der ‚identitätsstiftenden Großveranstaltungen’ kompatibel sind“
• Förderung von Projekten, „die den weiteren Ausbau interdisziplinärer und regional kooperativer Arbeits- und Produktionsweisen insbesondere im Bereich der Off-Kultur zum Ziel haben“
• „Ziel ist es, den Aufbau regionaler Netzwerkstrukturen für eine dauerhafte Zusammenarbeit zu unterstützen“
Dem so formulierten Zuschnitt der geplanten Fördermaßnahme stimmen wir ausdrücklich zu und halten – anders als im Sachstandsbericht vom 20.05.2015 (Anlage 1 zu Drucksache Nr. 13 /0201 / Kulturförderung des RVR 2015) vermerkt – die Umsetzung einer Maßnahme, welche diese Ziele verfolgt, für prioritär.
Leider jedoch sind weitere in den Förderkriterien und v.a. im Entwurf der Förderbedingungen formulierte Spezifika der geplanten Maßnahme unseres Erachtens diesen – endlich vom RVR explizit benannten, angestrebten – Zielen nicht oder nur wenig förderlich.
Aus unserer Sicht – basierend auf vielfältiger praktischer Erfahrung sowie Reflexion der kulturpolitischen Gegebenheiten in unserer Region – entstünde in Umsetzung des uns vorliegenden Entwurfs nur ein weiterer, relativ kleiner Kultur-Fördertopf neben den bereits existierenden lokalen (Kulturbüros) und regionalen (RKP Ruhrgebiet, LAG NW, Landesbüro freie Kultur NRW), auf welchen – anders als die o.g. Zielvorstellungen nahelegen und die Förderbedingung „kurze Projektbeschreibung (max. 1 DIN A4 Seite)“ wahrscheinlich anstrebt – doch wieder nur bereits antragsgeübte Gruppierungen zugreifen können und werden – und auch diese ohne eine anderswo nicht gegebene, besondere Möglichkeit.
Wir sind der Überzeugung: Der RVR kann mehr. Er könnte und sollte für die von ihm nun formulierten Ziele kulturpolitisch weit größere Schritte machen. Auf den folgenden Seiten benennen wir ein paar Einlaßstellen für eine deutliche Verbesserung der geplanten Fördermaßnahme, welche sie zu einer ihren Zielen effektiv dienenden machen könnte.
Für die weitere inhaltliche Diskussion bieten wir uns gerne als Dialogpartner, für die Umsetzung einer effektiven Fördermaßnahme des RVR für die freie Szene als strategischer Partner an.
Mit prekären und freundlichen Grüßen
Sarah Berndt, Joscha Hendricksen und Stefan Schroer
(für den FÜR e.V. des Netzwerk X)
FÜR e.V.: Kommentar zum Entwurf RVR-Kulturförderung
Einlässe zum Entwurf einer RVR-Kulturförderung für die Unterstützung der Arbeit der freien Szene im Ruhrgebiet, Beurteilung der vorgesehenen Förderkriterien und der Förderbedingungen. Anlage zum Brief des FÜR e.V. an den RVR vom 05. Juni 2015.
Wir benennen im Folgenden Stichpunkte, mit denen wir die Ansätze unserer Verbesserungsvorschläge kenntlich machen. Zum Teil markieren wir damit im RVR-Entwurf noch nicht Benanntes, zum Teil kritisieren wir vorgeschlagene Verfahrensregeln. Im mündlichen Dialog und auch schriftlich sind wir zur detaillierten Ausformulierung gerne bereit. Unsere Vorschläge wollen die im o.g. Brief an den RVR zitierten, von uns geteilten Ziele der geplanten Maßnahme befördern. Wir beginnen stets positiv: FÜR!
• Festbetragsfinanzierung – statt Fehlbetragsfinanzierung. Gerade den Nicht-Antrags-Profis der zu fördernden Off-Kultur muss die Möglichkeit gegeben werden, ihr inhaltlich gutgeheißenes Projekt (oder auch erstmal nur Teile daraus) umzusetzen, auch wenn der ursprüngliche größere (Finanz-)Plan gescheitert ist – oder wenn das bürokratische Knowhow (oder die Zeit oder auch: die Lust) fehlt, die nicht erhaltenen Co-Förderungen mit geldwerten Sachleistungen fördertechnisch korrekt zu kompensieren. Die so weiter nur der Projektumsetzung dienenden Energien werden, so unsere sichere, erfahrungsbasierte Einschätzung, sehr produktive sein.
• Werkvertrag – statt Abrechnung. Überschaubare Projekte mit einem klar formulierten/vorgesehenen öffentlich sichtbaren Ergebnis (Ausstellung, Diskussionsveranstaltung, Webpräsentation, Performance etc.) lassen sich noch einfacher befördern und damit ermöglichen: indem nicht ein Projektprozess finanziert wird, sondern das daraus entstehende Werk. Eine solche (regional bislang von keiner öffentlichen Förderstruktur gegebene) Modalität erreichte neue Akteur*innen und erleichterte allen ihre bürokratische Arbeit, mit Gewinn für die inhaltliche.
• Förderung investiver Maßnahmen – nicht alles ist ein Projekt. Die Reparatur einer Heizung, die Professionalisierung von Ton- oder Lichttechnik, die Beibringung eines bauordnungsamtlich geforderten Gutachtens für die (neue, erneuerte) Betriebsgenehmigung eines (sozio-)kulturellen Off-Ortes können weit effektivere Unterstützungen für Basis-Initiativen sein als Zuschüsse für ihre konkreten Projektarbeiten. Die Kosten (400 bis 4.000 EUR) sind überschaubare, die Effekte (ihres Vorhandenseins oder Fehlens) enorme. Es gibt bis dato keine regionale öffentliche Förderung, die solche Mikro-Investitionen möglich macht. Der RVR kann und sollte dies nun ändern.
• Basis – statt Kulisse. Für die nicht städtisch oder/und mit Landeszuschüssen strukturell geförderten (sozio-)kulturellen Orte in der Region gibt es bislang keine Möglichkeit, auch nur ihre Betriebskosten (geschweige Grundkosten: Raummiete, Personal) befördern zu lassen. Effekte sind dauernde Existenzangst, private Zuzahlung für die reine Existenz des Ortes statt Fähigkeit zur Selbstorganisation und damit Freiheit zu sinnvoller inhaltlicher, kultureller, künstlerischer Arbeit an/in ihm (und auch Verdienstmöglichkeiten mit diesen Arbeiten). Mit im Vergleich zu Fördervolumen professioneller kultureller Projekte (oder den täglichen Betriebskosten eines größeren Museums) marginalen Mitteln wäre für ein kulturell vielfältig lebendiges Ruhrgebiet mit der Ermöglichung einer Grundkostenförderung sehr viel zu erreichen.
• Einbeziehung der Antragsteller*innen in das Vergabeverfahren & (damit) Herstellung von Kollektivität/Vernetzung – anstelle eines weiteren „Black-Box“-Jury-Verfahrens für Antragsmonaden. Das Netzwerk X hat in seinem – vom RVR (Stiftung RUHR 2010) geförderten – Projekt INVERSCITY sehr positive Erfahrungen mit gemeinsamer Mittelvergabe gesammelt, von deren Struktur vieles auch institutionalisierbar wäre. Mit diesem – gut zu kommunizierenden und strukturell/institutionell/personell zu begleitenden – Ansatz sind im Ruhrgebiet bereits aktive Gruppen/Initiativen erreichbar, die bislang noch nicht auf dem Antragskarussell mitfahren. Zudem entstehen inhaltliche und strategische Verbindungen und auch konkrete Zusammenarbeiten zwischen den je Projektverantwortlichen und so über die Projektumsetzungen hinaus regionale Netzwerkstrukturen für fortgesetzte, dauerhafte Zusammenarbeiten.
• Selbstkritik – statt Identitätspflege. Die kritische Infragestellung der kulturellen, geschlechtlichen und regionalen Identität ermöglicht demokratische Teilhabe. Auf diese Weise können Privilegien und Defizite erkannt und in Bewegung gebracht werden. Eine bereits mit der geplanten Maßnahme als Fördervoraussetzung vorgeschriebene Identitätsstiftung (für was auch immer) ist ein Kriterium, welches bestimmte Projektansätze und im Konkreten substantielle Reflexionen, welche insbesondere von off-kulturellen Arbeiten für eine regionale Selbstverständigung zu leisten wären, per se ausschließt.
• Mehr ist mehr – 70.000 Euro sind kaum mehr, als die Stadt Duisburg (sic!) jährlich für ihre freie Szene vergibt, ein Bruchteil der lokal vergebenen Summen in Essen, Bochum, Dortmund oder weniger als der Gesamtetat von manchen (von ECCE+WMR zu befürwortenden, landesfinanzierten) Kreativ.Quartiere-RUHR-Projekten. 300.000 Euro dürften und sollten es schon sein. Dies entspräche allein dem Etat des jährlich einen Kooperationsprojekts von UKR mit der Ruhrtriennale. Mit (mindestens) diesem Etat wären die vom RVR mit dem jetzt vorgelegten Förderprogramm formulierten Ziele garantiert effektiv und nachhaltig zu erreichen. Hier nicht nur als (und schon gar nicht undifferenziert neben andere gestellte) Projektfördermaßnahme, sondern als neue Formen der Investiv-/Projekt-Förderung inkludierende strukturelle. Mit „X:PIKS“ (Dokument: https://fuer-x.org/xpiks-ein-kulturpolitischer-vorschlag) haben wir hierzu bereits 2013 einen Vorschlag veröffentlicht, den wir nun erneut – als eine mögliche (im Detail neu zu diskutierende, abzuwandelnde) Strategie zur Erreichung gemeinsamer Ziele – in die Diskussion einbringen wollen.
Weitere Fragen (etwa zur Kompatibilität zugesprochener RVR-Fördermittel mit Förderungen aus Landesmitteln) stellen sich. Wir verzichten auf weitere konkrete Einlassungen und halten stattdessen noch einmal fest: Wir begrüßen sehr die vom RVR aktuell geplante Förder-Initiative zur Stärkung im Ruhrgebiet bereits vorhandener (off-)kultureller Initiativen und Projekte. Wir unterstützen ausdrücklich die meisten der hierfür konkret formulierten Ziele. Wir wissen, dass diese Ziele in der vorgeschlagenen Förder-Struktur nicht oder kaum zu erreichen sind und schlagen deshalb ihre Veränderung vor. Die oben formulierten Aspekte markieren mögliche Ansätze zu ihrer Neufassung.
Wir stehen bereit für einen konstruktiven Dialog und auch für praktische Partnerschaft im Prozess der Umsetzung der geplanten Fördermaßnahme zur bestmöglichen Beförderung ihrer Ziele.