Besser spät als nie ist es uns gelungen, einen Nachbericht zu schreiben, um euch zu informieren, was auf der Konferenz passierte. Wir entschuldigen uns für die Verspätung und geloben Besserung für die Konferenz 2023, die am 20./21.5 im Stapeltor stattfinden wird.

Am Samstag um 14 Uhr begannen wir, mit kleiner Verspätung, mit ca. 40 Personen das Auftaktplenum. Aus 20 unterschiedlichen Strukturen und 7 Städten waren Menschen gekommen, um sich auf Augenhöhe zu begegnen, zu besprechen, zu vernetzen, zu verbünden und eigenständige Strategien im Umgang mit Kulturpolitik, Stadtplanung und Prekarität im kolonial-patriarchal-kapitalistischen Gesamtzusammenhang zu finden.

Um 16.30 Uhr begann die erste Workshopphase mit 3 Workshops: Awareness & Access, Fördermittel & solidarische Praxis sowie einem Urban Gaming Angebot.

Der Awareness & Access WS wurde vom Awareness-Team des Stapeltors und der Aktivist*in und Autor*in Agnieszka Habraschka durchgeführt. Der Workshop war in ähnlicher Form bei der Konferenz 2022 als Online-Format durchgeführt worden, worauf im Anschluss von vielen der Wunsch geäußert wurde, das Format in Präsenz zu wiederholen, um insbesondere für eine spezifische Diskussion und Erfahrungsaustausch mehr Zeit zu haben. Diesem Wunsch kamen wir gerne nach, und im WS wurde sich rege über die Möglichkeiten von Inklusion und die damit verbundenen Herausforderungen ausgetauscht. Bei Youtube findet sich ein englischsprachiger) Mitschnitt eines Vortrags von Agnieszka Habraschka: „Cripping the Organizing“, der allen Interessierten ans Herz gelegt wird. → https://youtu.be/kpsBn530lvE

Ausgehend von 4 griffigen Thesen wurde im WS Freie Kulturförderung: Zwischen Start-Up und solidarischer Praxis heiß diskutiert. 

  1. Kulturförderung hat einen Zweck. Sie findet nicht im politischen Vakuum statt. Ein politischer Umgang mit Kulturförderung erfordert eine kritische Auseinandersetzung mit deren Zielen.
  2. Kulturförderung erzeugt Wissenshierarchien. Anträge schreiben zu können ist mit bestimmten Privilegien verknüpft. Während sich so einzelne zu „Antragshasen“ aufschwingen, können anderen irgendwann gar nicht mehr mitreden. Skill-Sharing und Maßnahmen gegen Gate-Keeping stehen auf der Tagesordnung.
  3. Kulturförderung ist ein Prekarisierungs-Motor. Während sich mit Kulturförderung für Menschen mit mittelständischem Hintergrund gut etwas nebenbei verdienen lässt, kann davon fast niemand leben. Mit idealistischen Versprechungen fördert die „Projekteritis“ Selbstausbeutung und trägt zur neo-liberalen Formierung der Subjekte bei. Da muss sich was ändern.
  4. Kulturförderung bietet Möglichkeiten zur solidarischen Praxis, muss dafür jedoch diskursiv betrachtet werden. Oftmals sieht es so aus, dass auf der einen Seite autonome Projekte durch Inanspruchnahme von Kulturförderung eine Abhängigkeit von staatlichen Institutionen fürchten („Staatsknete“), während auf der anderen Seite verfügbare Mittel in apolitischen Projekten landen. Durch eine kritische Beschäftigung können wir Kulturförderung als Ressource zur solidarischen Stärkung autonomer Projekte begreifen.

Da über These 3 auch in der am gleichen Abend stattfindenden „Struktur Tunnel Ruhr“-Präsentation gesprochen werden würde, bildeten die Teilnehmer*innen zu den übrigen 3 Thesen AGs. Insbesondere die zweite These zu Wissenshierarchien begleitete die gemeinsame Abschlussdiskussion. Als Praxisvorschlag kam von den WS-Leiter*innen die Idee, eine regelmäßige Wissens-Transfer Arbeitsgruppe einzurichten. 

 

Das Urban Gaming Angebot wurde nur von wenigen wahrgenommen, diese hatten aber großen Spaß mit Daniel Parlow (Urbanisten e.V. / Dortmund) → https://dieurbanisten.de/person/daniel-parlow/. Im Abschlussplenum wurde der Wunsch formuliert, bei zukünftigen Konferenzen solch gute kreative Angebote zeitlich nicht als Alternativangebot zu Themen-Workshops (und damit in Konkurrenz zueinander) zu terminieren, sondern so, das Teilnahme an beiden Formaten möglich ist. Wir versprachen eine zukünftige Umsetzung des Wunschs.

Den Abschluss des Abends bildete eine zugleich ernste, wie humorvolle Präsentation der Ergebnisse des Projekts „Struktur Tunnel Ruhr“ des Vereins zur Förderung der FÜR-Thesen des Netzwerk-X – FÜR e.V. Das Ergebnis ist eine Broschüre, die ihr hier ->https://fuer-x.org/zur-strukturfoerderung-freier-kunst-kontextraeume-im-ruhrgebiet-zahlen-fakten-torten/ lesen und anschauen könnt. Die Broschüre ist die Auswertung einer vornehmlich quantitativen Forschung, in der 17 freie Orte im Ruhrgebiet zu ihren Themen, Strukturen, Finanzierungs-Formen und Perspektiven befragt wurden. Die so entstandene ,Hochglanzbroschüre‘ wurde dem staunenden Publikum feierlich überreicht. Insbesondere die Mischung aus wissenschaftlicher Forschung und (selbst-)ironischer Kritik kam sehr gut an. Nicht verwunderlich, fließen doch in die Broschüre mehr als 10 Jahre kulturpolitische Auseinandersetzung des FÜR e.V. ein.

Nicht unerwähnt bleiben dürfen das fantastische Essen und die angenehmen Pausengespräche auf dem sonnigen Innenhof des Stapeltors.

Am Sonntag begannen wir wieder mit einem Vorstellungs-Plenum, um dann um 15 Uhr in die 2 Workshops zu gehen. Da es für das Vernetzungstreffen linker Ladenprojekte viele spontane Absagen gab, entschlossen wir in der Großgruppe, ihre Themen mit in den Workshop „Multiperspektivität“ zu nehmen. Mit sachkundigen Moderator*innen kamen wir gedanklich in Schwung und diskutierten an vier Tischen zu (1) Politarbeit & Freiräume (2) Geld, Zeit, Ressourcen (3) Vernetzung und (4) Inklusion & Diversität. In dieser Gruppe konnten wir zusammen mit Yasemin Tayeboun und Emre Abutauch von „Working title – „Labor für antirassistisches Kuratieren“ an die Arbeit aus dem Workshop „Strategien für Zugänglichkeit in der Kunst und Kultur“, der letzten Konferenz anschließen. Die Ergebnisse der Gruppen trugen wir abschließend beim Plenum zusammen. 

Resümée

Die Teilnehmer*innen lobten insbesondere die gute, ungezwungene Atmosphäre und bestärkten uns darin, weiter autonom Konferenzen zu organisieren. Für uns als Organisator*innen ist es bedenklich und auffällig, dass für viele Teilnehmer*innen diese Art der Selbst-Organisierung im Kulturbereich unbekannt ist. Das Format der „Konferenz der kleinen Orte und freien Kollektive“ ist so auch als praktische Kritik an institutionellen Kulturkonferenzen und anderer partizipativer Kultur-Formate zu verstehen. Kunst- und Gesellschaftsarbeit erfordert eine eigene Organisationsform, da das Verhältnis von Förderern und Kulturpolitik zu sozial-künstlerischen und anderen aktivistischen Akteur*innen ein hierarchisches ist. Auch wenn es zwischen feudaler Gutsherrenmentalität („sei dankbar, dass ich dich fördere“) und pseudo-hierarchiefreier Kumpelei („wir arbeiten doch alle an derselben Sache“) zu unterscheiden gilt, bleibt doch ein Raum, in dem ohne Bewährungsproben und Abhängigkeiten über die Chancen und Zumutungen freier Kunst- und Gesellschaftsarbeit gesprochen werden kann, unverzichtbar.