Ende: Was mir durch den Kopf geht ist das folgende Argument: Lässt sich durch eine wissenschaftliche Herangehensweise eine Beschreibung politischer Aktionsformen finden, die es ermöglicht aus der legalistischen Bewertung dieser auszubrechen?

Julia: Dieser fragende Gedanke kann zu ganz grundsätzlichen Fragen führen: Was bedeutet für uns Politik heute? Ist die Ordnung von sozialen Strukturen und Veränderungen nicht Ausdruck des Legalismus (kann man in Deutschland überhaupt so davon sprechen)? Und wenn nicht, wie können Alternativen gestaltet werden?

Ende: Es geht darum politisch zu denken und zu handeln, was heißen könnte Macht und Interessen in Verbindung zu bringen. „Legalismus“ soll hier heißen: ausschließlich in Recht, sprich mit dem Gesetzbuch, zu agieren. Vielleicht will ich sagen: Warum werden gewisse Formen politischer Subversion nicht positiv sanktioniert, statt unterdrückt. Und wenn jetzt alle schreien: ja, genau deswegen, dann ist diese Frage trotzdem ein Ausgangspunkt für eine politische Debatte, bei der auch der politische Gegner gern mitreden darf. Darum könnte es in Gesellschaft gehen: eine gemeinsame Anstrengung zu unternehmen, sich in Widersprüchen bewusst zu bewegen, zu etwas weniger offensichtlich Bescheuertem, wie z.B. Leute bestrafen die Ruinen anmalen oder Ruinen mit Leben füllen.
Dazu könnte es hilfreich sein eine Sprache zu finden, die politische Aktionsformen auf ihren Wirkungs-Wunsch hin untersucht (und diesen analytisch entfaltet, statt paternalistisch kleinzumachen) und somit einen Dialog schafft der situative, anarchistische, autonome Praktiken analytisch unterstützt.

Julia: „Wie entsteht dieser „Raum des Politischen“ in Anlehnung an H. Arendt, in dem derartige Dialoge stattfinden?

Ende:
Erstmal: über Macht und Zeit und Interessen reden. Dies in Zusammenhang mit Bedürfnissen und Bedingungen. Mir fällt kaum ein Zusammenhang ein, in dem dies gemacht wird. Ich kenne jedoch viele Zusammenhänge in denen auf vielfältige Weise versucht wird politisch zu sein, oder Dialoge zu führen, während z.B. eine Casting-Show läuft.
Ein Trick, derjenigen, die nicht auf politische Dialoge stehen, ist es die Ziele der politischen Bewegungen wegzubügeln und zu sagen: „Ihr stellt die Machtbeziehungen in dieser Gesellschaft praktisch in Frage: Ihr seid doch alle Extremisten!“ Dabei braucht es dringend eine freundschaftliche Begleitung gutgemeinter Radikalität. Zurück zur Sprache: Wie könnte eine Alternative zu Extremismustheorie (Egalisierung der Ziele) und Überformung durch ideologisierten Leistungs- und Erfolgssprechen (neo)liberaler Prägung („Rekuperation“) gefunden werden?

Am Beispiel:
Ein Haus wird besetzt.
Ein paar gängige Interpretationen:

Julia: Von wem?

Ende: Möglichen Sympathisant_innen…

1. „Wunderbar! Endlich passiert hier was / kriegt das Schweinesystem einen aufn´ Deckel!“
Typ: Generalisierte Subversionsfreunde
Anschluss: Eine kleine Freude und Angst vor falschen Freunden.

2. „Wunderbar! Aber Hausbesetzung sind illegal.“
Typ: Erwachsen & Widerständig
Anschluss: Immerhin, aber betrüblich einfallslos.

Julia: Werden hier nicht verschiedene Akteurstypen vermengt?

Ende: Wenn du gestattest, will ich hier der Frage ausweichen. Beispiele sind immer Stolperfallen. Einen hab ich noch:

3. „Wunderbar! Lass uns das in ein politisches Vorhaben überführen!“
Typ: Optimistisch bis kreativ

Julia: Ist eine Hausbesetzung nicht bereits ein politisches Vorhaben?

Ende : Mich wundert, dass du nicht nach „kreativ“ gefragt hast. Einerseits: Ja. Eine Hausbesetzung ist eine politische Aktion, die auf zwei Weisen Unterstützung verdient. Erstens sollten die Aktivist_innen darin unterstützt werden, den Raum langfristig nutzen zu können. Zweitens sollten die Aktivist_innen in ihrem politischen Anspruch (sofern vorhanden) ernst genommen werden. Diejenigen Akteure, die das Bedürfnis verstehen, die Hausbesetzung als Praxis jedoch ablehnen, stehen möglicherweise am Anfang einer wundervollen Lernprozesses. Diejenigen, die die politischen Ansprüche teilen, die Aktionsform jedoch ablehnen, haben Probleme ihren Ärger in eine schönere Richtung abzuleiten.

Weil es aber im Vergleich zu Hausbesetzer_innen, viele mögliche SympathisantInnen gibt, versuchen diese die aktivistischen/bewegungsorientierten und/oder anarchistisch/sozialistisch/kommunistisch-motivierten Aktionen in eine erfolgversprechende, parlamentarische oder kreativwirtschaftliche Sprache zu übersetzen und so geht mit der gedanklichen Perspektive, auch die aktionistische Substanz verloren.

Julia: Warum muss die Radikalität aufgeben werden? Mit Radikalität muss sich ja noch kein Ausdruck von körperlicher Gewalt formieren, sondern vor allem erst einmal ein „So-nicht-mehr“. Wobei meistens ja dann sowieso auf bestehende Protestformationen zurückgegriffen wird.

Ende: Die Radikalität, oder besser: der Wunsch nach einer kontinuierlichen Anstrengung für die Aufhebung der Dinge zum Besseren, wird aufgegeben, sobald die Sprache des Widerstands aufgegeben wird.

Julia: Vor allem bestehen ja doch feine Unterschiede zwischen aktivistischen, bewegungsorientierten, anarchistischen, sozialistischen und kommunistisch-motivierten Aktionen. Obliegt man nicht hier die Gefahr ein Protestmilieu zu kollektivieren, welches in sich selbst unstimmig und heterogen ist? Wäre nicht eher der Gedanke von Slangs oder Dialekten des Protests zu sprechen?

Ende: Feine Unterschiede! Haarfein, klitzeklein. Nein, halt. Ironie lässt sich aus gedrucktem Text schwierig herauslesen. Im Ernst: Du hast selbstverständlich recht. Das überhaupt in einen Satz zu packen ist schon recht haarsträubend. Es ginge wenn überhaupt darum gemeinsame Interessen zu bündeln, sich auf Spiele oder Bündnisse einzulassen. Ohne vorher Haare zu spalten, geht da bei den Agitationsfreund_innen nichts – der Rest ist Praxis. Ich würde die inhaltlichen Differenzen aber nicht „Slangs“ oder „Dialekte“ nennen wollen. Das könnte allerdings ein spannender Forschungsansatz sein. Damit könnten vielleicht theoretische Differenzen von bloßen Sprachgrenzen unterschieden werden. Wer macht die Empirie?

Zurück zur Sprache:
Es könnte helfen eine gemeinsame, widerständische Sprache zu finden, wenn sich die Politik (da werde ich jetzt mal sehr grob) darauf einigen könnte, Interventionen à la Hausbesetzung politisch vollständig abzulehnen. Stattdessen ernten Aktivist_innen allerlei Verständnis. Ist dieses Verständnis wirklich nur „repressive Toleranz“, d.h. eine fingierte Anerkennung, die dazu führt, dass der Gegner unsichtbar und somit schlechter bekämpfbar wird?
Oder ist diese Anerkennung Ausdruck gemeinsamer Interessen?

Julia:„Was ist wenn diese „Politik der Anerkennung“ kein Ausdruck gemeinsamer Interesse ist und kein Ausdruck fingierte Anerkennung, sondern Interesse an dem Anderen ist? Ist dieses vorstellbar für dich?“

Ende: Jetzt hast du mich doch noch erschreckt. „Interesse am Anderen?“ Da setzt bei mir der Verstand aus und ich krieg ein flaues Gefühl. Ich glaube ich bin immer noch nicht reflektiert genug, um verstehen zu können, wie Leute sich als „Anders“ empfinden können. Wenn poltischer Aktivismus im Vergleich zur jeweiligen eigenen Praxis etwas „Anderes“ ist, dann weiß ich, warum mir statt einer Formulierung manchmal eine Beleidigung rausrutscht.
Das ist zumindest mal ein Bekenntnis zu wirklicher Befremdung. Sonst wird von Gegnern links-aktivistischer Politik eher betont, dass diese wirkungslos und bestenfalls systemverbessernd wirken kann (gleich dem Hacker, die Systemfehler offenlegt, damit diese behoben werden können).

Julia: „Ist hier nicht ein Widerspruch? Vielleicht noch mal auf Anfang: Was ist die Forderung links-aktivistischer Politik (die in diesem Ausdruck bereits institutionalisiert ist)? Ist es nicht eine Wirkung systemverbessernd zu sein (Was immer
verbessernd meint) ?

Ende: Jetzt haben wir bald alle Weltmeere durchkreuzt…Meine Forderung ist: Wir bewegen uns gemeinsam in Widersprüchen voran, um vorhandene Widersprüche in der Praxis sozial und in der Organisation strukturell aufzuheben. Was links-aktivistische Politik im Allgemeinen will (und zudem als Institutionalisierte), weiß ich nicht. Wenn etwas institutionalisiert werden könnte, wäre es die radikale Subversion selbst, aber diese müsste (s.o.) auf Bedürfnisse und theoretische Ansprüche befragt werden. Systemverbessernd heißt doch die Machtbeziehungen nicht mit einzubeziehen. Vielleicht ist es verständlich, wenn ich sage: Diese Gesellschaft ist auseinandergeflogen und hat sich in Dummheiten und Zynismen eingerichtet (manche nennen das „Kapitalismus“). Da fang ich an zu handeln.

Wenn sich die Konkurrenz-Eigentums-Ausschluss-Maschine jeden Widerstand zum Motor macht (ihn rekuperiert), verhindert sie aktiv, dass solidarische Ideen Wirklichkeit statt Marketing werden.
Zudem bleibt den Subversionsfreunden (s.o. Typ 1), damit nur noch der Mob. Eine nicht belegte These (aus Faulheit) besagt: Mit einem spezifischeren, analytischeren, wissenschaftlichen Blick könnte eine Sprache gefunden werden, die substantielle, berechtigte Kritik mit politisch-praktischer, vertragszwangsläufiger Tätigkeit derart in Beziehung setzt, so dass sich Staat und Bewegung ineinander auflösen – als „best of both world“ – bedürfnisorientierte, ästhetische Praxis mit generalisierter, mathematischer Verbindlichkeit.

Julia: „Gehen wir mal davon aus, dass Sprache die Verkürzung unserer Gedanken und damit auch unseres Handelns ist, geht es am Ende um eine neue Sprache, aber am Anfang um die Betrachtung der Akteurskonstellation und die jeweiligen Handlungsmotive der Subjekte?
Das heißt steht die Schaffung einer neuen Sprache nicht in Abhängigkeit zu der Schaffung von Freiräumen, also materiellen Orten an denen sich neue Ausdrucksformen (muss das denn unbedingt Sprache sein) finden können?
Orte des Experimentierens gesellschaftlichen Zusammenlebens, welche die Radikalität ermöglicht, sie aber durch inkorporierte Wissenszustände strukturiert?
Denn von wem hast du die Sprache mit der du sprichst? Woher kommen die Ideen die du denkst? Sind sie in einem außen von Gesellschaft, sind sie in einem außen von Historizität? Bist du nicht am Ende sozial strukturiert und genau das was du kritisierst?

Ende: Nun bin ich durch alle Weltmeere geschwommen und tauche in den Malstrom, den Vortex ein. Diese schöne sich-in-sich drehende Spirale, welche die Poesie gebiert. Denn du hast mich eingeladen: Ja, ich bin genau das, was ich kritisiere.

„Blockaden überwinden, Leerstände beleben, auch im Denken!“ So heißt es in der ersten FüR-These des Netzwerk X – Für Kunst und Soziales im Ruhrgebiet, in dem Julia-Lena Reinermann und Joscha Hendrix Ende aktiv sind und diese Diskussion gerne mit vielen Ähnlichen und Anderen fortsetzen wollen.

Illustration
Harry Clarke

Das Gespräch ist in gekürzter Fassung erschienen in der Aktionszeitung der Freiraumtage Dortmund 2015

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